Anfechtung beim Dienst der Wortverkündigung

Predigt-Notizen

Es gibt keinen Glauben ohne Anfechtung. Nicht anders ist es im Leben des Dienstes für unsern Herrn Jesus Christus, und im besonderen im Dienst der Wortverkündigung. Paulus bekennt beim Abschied von den Ältesten von Ephesus: »Ich habe dem Herrn gedient in aller Demut, ja unter Tränen und Anfechtungen…« Das ereignet sich überall, wo der aufgetragene Dienst zugleich als eine persönliche Glaubensführung verstanden wird. Beim Boten Jesu dürfen der Dienst und das persönliche Glaubensverhältnis zu Gott nicht getrennt voneinander existieren. Wo immer dies doch der Fall ist, wird man sich ein großes Teil der Anfechtung ersparen – aber wohl zum eigenen Schaden.

Die Jünger unseres Herrn Jesus waren Zeugen seiner großen Anfechtungen (Lukas 22, 28). Die galatischen Gemeinden hatten in Paulus einen manchmal wohl verzagten und deprimierten Boten Gottes vor sich (Galater 4, 14). Ähnlich war sein Eindruck in Korinth: »Wenn er selbst anwesend ist, ist er schwach und seine Rede ohne Gewicht« (2. Korinther 10, 10). Ähnlich muss es sich in Ephesus (Apostelgeschichte 20,19) und gewiss auch auf anderen Arbeitsfeldern zugetragen haben. Ferne davon zu behaupten, das Auftreten des Paulus sei ohne mitreißende Gewalt gewesen, wird doch in seinem Dienst da und dort das »irdene Gefäß« sichtbar, bisweilen in tiefen seelischen Erschütterungen. Die Gestalt seines Wortdienstes wies jedenfalls je und je Risse auf, die nach der Meinung der Menschen besser verdeckt geblieben wären. Wäre nicht eine glänzende Außenseite eine bessere Empfehlung für das Evangelium gewesen?

Bei der Ausrichtung der Verkündigung vom Heil in Jesus Christus gerieten die Boten des Neuen Testaments, ja Jesus selbst in unerhörte innere Spannungen und Kämpfe, deren Hintergrund nicht immer klar zu erhellen ist. Die Anfechtung dessen, der im Dienste Jesu steht, ist recht eigentlich eine göttliche Legitimation, sozusagen der Ausweis der Echtheit unseres Dienstes.

Anfechtung in der Vorbereitung

Bei der Textwahl beginnt es. Bis vor einem Jahr wählte ich die Predigttexte für den Sonntag nach eigenen Gesichtspunkten. Meist waren es solche, die mir besonders bedeutsam geworden waren. Ich kann nicht sagen, dass die Resultate unbefriedigend waren. Aber es zeigte sich doch, dass meiner freien Textwahl zu viel Subjektivität unterlief. Außerdem brachte sie in ständige Konflikte, ob der vorgesehene Text wirklich der richtige sei. Sie lagen gewiss auf der Ebene starker Anfechtungen. Ganz abgesehen davon, dass einige Zeit verstrich, ehe der Text feststand.

Sich der Anfechtung der Textwahl auszusetzen, halte ich im Augenblick für unnötig. Ich halte mich an die Perikopenreihe der EKiD. Ein frei gewählter Text ist keineswegs qualifizierter als der aus einer Textordnung übernommene. Wort Gottes ist Wort Gottes. Ich freue mich darüber, dass unsere Kirche (Methodistenkirche) keinen Textzwang kennt. Desto leichter fällt es, sich aus freien Stücken einer Textordnung anzuschließen. Dann ist diese auch keine Zwangsjacke, die drückt und kneift. Von einem Sonntag zum ändern bin ich voll Spannung, mit welchem Text ich überrascht werde. Jetzt stehe ich schon mitten in der Vorbereitung, wo ich früher noch auf Textsuche war. Ich empfinde es als eine Wohltat, von der Textwahl befreit zu sein.

Nicht immer ist es so, dass es bei der Beschäftigung mit dem Text von einer Erkenntnis zur andern geht. Manchmal stellen sich Unlustgefühle ein. Sie sind meist ziemlich undurchsichtig. Da erledigt man lieber die Post oder liest die Zeitung, als dass man sich konsequent an die Arbeit machte. Es ist nicht von der Hand zu weisen, wenn irgend eine Person im Laufe des Freitags oder Samstags die Frage stellt: Wie weit bist du mit deiner Predigt? Diese Person dürfte beim verheirateten Prediger die Frau sein.

Wir brauchen uns nicht zu schämen, unsere zeitweiligen Unlustgefühle bei der Vorbereitung zuzugeben. Vorbereitung zum Wortdienst ist der Herstellung von scharfer Munition vergleichbar. Satan hat die Absicht, schon ihre Herstellung im Studierzimmer zu verhindern. Dies ist schon hintergründig gedacht. Es gibt auch ganz einfache Gründe. Die Arbeit der Vorbereitung ist eine Arbeit! Sie bannt uns für Stunden an unsern Schreibtisch und bietet dabei keinerlei äußere Abwechslung. Es fällt uns im allgemeinen viel leichter, die anstehenden Arbeiten zu erledigen (Korrespondenz, Telefongespräche, kleine Besorgungen usw.), auch wenn wir dienstbeflissen dauernd das Gegenteil behaupten und angeblich unter dem »Verwaltungskram« seufzen. Es wird ordentlich gestöhnt: Keine Zeit zur Vorbereitung. Aber ob es uns gar so ernst darum zu tun ist?

Man muss einmal die Arbeit links und rechts im Namen Gottes liegen lassen und, wenn sie dringlich ist, so lange, bis wenigstens das wesentlichste Stück der Vorbereitung beendet ist. Halte dir einmal alles vom Leib, um wenigstens zwei Stunden ungestörte Vorbereitung zu haben.

Die Konzentration auf den Text wird immer wieder durch unwillkommene Gedankenexkurse gestört. Bestimmte Gemeindeglieder tauchen am Horizont auf, fragwürdige voran. Es beginnt unversehens eine geistliche Entladung über ihre Fehler. Der Text wird zu einem Geschütz, das gerade sie anvisiert und mit Volltreffer zertrümmert. Es ist gut, wenn wir das Geschütz schnell um 180° drehen, auf uns selbst! Anfechtung der Rechthaberei, Lieblosigkeit und des Richtens: Alarmsignale, die Zeichen unbewältigter »Fälle« sind. Da ist Buße und Beugung am Platze.

Da wird ein Beispiel gesucht. Am Bücherschrank stehend, gerate ich in anderweitige Lektüre hinein. Sie fesselt mich. Oase in der trockenen Begriffssondierung der Predigt. Ich bleibe auf der schönen Oase. Schnell sind 10 oder 20 Minuten verbummelt.

Gelegentlich spielen wir in der Vorbereitung bereits die Rolle des Predigenden. In kühner Vorwegnahme des Sonntagmorgens (die Phantasie als Versucher!) legen wir los und hören uns selbst von der Kanzel herab bis in einzelne Formulierungen hinein. Die Zuhörerschaft ist fasziniert von unsern neuen Erkenntnissen und treffsicheren Aussagen. Der Vorspann dieser blühenden Phantasie (die sicher nicht bei jedem blüht) ist oft ein verstecktes Geltungsbedürfnis bzw. ein Minderwertigkeitskomplex.

Anfechtung gibt es auch da, wo das Bedürfnis der Perfektion nicht auf seine Rechnung kommt. Du willst eine klare Disposition haben, es soll Heiterkeit und Ernst zu gleichem Recht kommen, die Beispiele sollen sitzen wie der Maßanzug vom Schneider, die Wendungen müssen flott und charakteristisch sein, christozentrische Ausrichtung soll die theologische Substanz wahren, und zugleich darf der Zuhörer nichts Peinlich-Anstößiges dabei empfinden…

Wohl uns, wenn wir die perfektionierte Vorbereitung in ihrer Gefahr erkennen. Anfechtung bei misslingender Vorbereitung hat oft die Wurzel eines habgierigen Triebes der Perfektion. Man will die Predigt »fertig haben«, das Erarbeitete wird zum Besitz, der möglichst souverän in der Predigt weitergegeben wird.

Wenn die Vorbereitung ins Stocken gerät, weil wir einem Text nicht recht beikommen – oder weil seine Aktualisierung nicht gelingen will, stehen wir in brennender Not. Aber die nun vorhandene Anfechtung (Ablehnung des Textes, Ausweg-Lösung: Alte Predigt? Oder anderer Text?) ist ganz in Ordnung. So weit meine Erfahrung reicht, waren jene Anfechtungen immer geeignet, meine völlige Ohnmacht und Armut zu erweisen und mich in Buße und Beugung zu treiben. Wenn das kein Segen ist! Allemal, wenn ich am Text blieb, wurde er mir doch aufgeschlossen (und wenn es unter Bangen erst auf der Kanzel während der Darbietung der armseligen Gedankengänge geschah). Es ist geboten, aus diesen Aussagen keine platten Verallgemeinerungen zu machen, etwa die: Dann kann ich mir ja schlechte Vorbereitung ruhig leisten. Das hieße, die Vorsehung zu spielen. Die hat Gott sich selbst vorbehalten.

Noch eine Versuchung muss hier genannt werden. Wer kennt nicht das vergleichende Denken betreffs der Qualität seiner Predigterzeugnisse? An welcher Stelle rangiere ich in der Predigtleistung unter meinen Brüdern im Amt? Dieser und jener Bruder ist als guter Prediger bekannt. Bekomme ich den Anschluss an die Spitze? Werde ich der mittelmäßige Prediger bleiben? Man verkennt vielfach die Qualität, den Ernst und die Logik meiner Predigtmühe. Bei einer Konferenz oder sonst einer größeren Veranstaltung werde ich ja wohl niemals auftreten. Da prangen andre Sterne am Himmel. So und ähnlich flunkert’s vor den Augen.

Eine Abwehr in dieser Anfechtung ist ein kräftiges Absagegebet an diesen Geist des Hochmuts im Namen Jesu und ein fröhliches Danken für mein Sosein wie ich bin. Mir half manchmal die Beherzigung von Jesaja 45, 9: »Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert …«

Anfechtung bei der Ausrichtung des Wortdienstes

Unmittelbar vor der Verkündigung unterliegen wir Anfechtungen. Die Gründe für die häufigste Erscheinung – starke Erregung, die bisweilen intensiv auf das körperliche Befinden einwirkt – sind selten ganz durchsichtig. Einige seien versuchsweise angeführt: Angst, sich zu blamieren (bei guter und schlechter Vorbereitung), unerklärliche Erregung trotz innerer Ruhe, berechtigte Unruhe bei schlechter Vorbereitung, starkes Angespanntsein im Blick auf Aussagen, die wir auftragsmäßig zu konkreten Missständen sagen müssen = unmittelbar von Gott in Dienst genommen sein. Das Gefühl der eigenen Ohnmacht zieht sich wohl durch alle Empfindungen hindurch.

Selten sind m. E. die Prediger, die in Ausgeglichenheit die Wortverkündigung antreten. Eine solche, die bereits durch das Gericht des Wortes Gottes gegangen ist, ist hier nicht gemeint. Im allgemeinen bin ich unmittelbar vor der Predigt um so ruhiger, je intensiver ich selbst bei der Vorbereitung durchs Gericht des Wortes Gottes ging. Das schließt aber obengenannte Vorgänge nicht aus. Es ist zu raten, vor dem Wortdienst ganz schlicht zu beten: Herr Jesus, ich übergebe mich Dir, Du hast das Wort, nicht ich. Wie ich abschneide, ist mir gleich. Mach mich zuschanden oder las mir’s gelingen – wenn nur Du jetzt zu Deinem Recht kommst.

Auch während der Verkündigung sind manche Versuchungen möglich: Effekthascherei, psychologische Steuerung bei abflauender Stimmung, starke Register ziehen, wenn der Substanzvorrat zu Ende ist (oft gleichbedeutend mit letztem Rettungsversuch einer im Missglücken begriffenen Predigt), sich gefangen nehmen lassen von der Anwesenheit gut- oder bösartiger Zuhörer u.a.

Nach der Verkündigung ertappen wir uns in der Regel bei unseren bewertenden Gefühlen. Ehe wir nur einen bewussten Gedanken gefasst haben, steht für unser Empfinden schon fest: Das hat hingehauen, es war mittelmäßig – oder unterdurchschnittlich. Über diese Selbstbewertung rege ich mich gar nicht mehr auf. Die Platte ist schon zu alt. Bei guten Zensuren kommentiere ich dazu etwa so: Da siehst du schon aus dieser bösen Überhebung, dass der Segen des reichen Wortes nicht aus dir stammt. Herr Jesus, Du siehst es, was für ein verkehrter Kerl ich bin. Ich bin dann zwar gedemütigt über meinen Hochmut, aber ich freue mich zugleich riesig, dass der Herr so ein sündiges Werkzeug wie mich gebraucht.

Bei niedergeschlagenen Gefühlen danke ich von Herzen für die Demütigung. Es ist mir längst klar, dass mich Gott je und dann gründlich versagen lässt, damit aus seinem Geistesbeistand keine Routine wird, damit der alte Mensch nicht so viel Futter kriegt, und damit die Gemeinde an dem weniger eindrucksvollen Wort zur Besinnung auf ihren Anteil an der Verkündigung gelangt. Unser Einwand, die Gemeinde nehme durch ein gelegentliches Versagen in der Verkündigung Schaden, ist sehr vordergründig. Es wurzelt nicht selten in unserer erheblichen Einbildung von der Unentbehrlichkeit unserer Predigtweisheit. Demütigende Wortdienste sind die beste Vorbereitung auf den nächsten Dienst. Sie treiben ins Gebet. Es kommt doch entscheidend darauf an, ob unser Gebetsleben in einem gesunden Verhältnis zu dem Aufwand bei der Vorbereitung steht.

 

Heinz Burkhardt, Wort und Tat, Kassel, November 1963