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Das Hohelied beschreibt in poetischer Form das Ideal ehelicher Liebe. Dieses vollkommene Ideal wird der gefallene Mensch niemals erreichen, aber er kann und soll ihm nacheifern. Verstehen wir, wie Gott sich wahre Liebe vorstellt, erkennen wir darin auch, wie Gott uns liebt.
Mann und Frau sehen sich mit verliebten Augen
Liebe ist voller Bewunderung für den anderen. Der Mensch ist „wunderbar gemacht.“ (Psalm 139,14) Was David über sich selbst sagen kann, sprechen Salomo (1,1) und Sulamit (7,1) sich gegenseitig zu: „Siehe, du bist schön“, sagt sie ihm. (1,16) Salomo sagt ihr das immer wieder. (1,8.15; 2,10.13; 4,1; 4,7; 6,4; 7,7) Er bezeichnet seine Liebste sogar als „makellos“ (4,7; 5,2; 6,9), obwohl sie sich selbst nicht so sieht und beschreibt. (1,5f.) Salomo betrachtet Sulamit intensiv und genau, er bewundert sie im Detail: Augen, Haare, Zähne, Lippen, Mund, Schläfen, Hals, Brüste… (4,1-5; 6,5ff.) Sulamit beschreibt ihren Geliebten: Sein Haupt, seine Locken, seine Augen, seine Wangen, seine Lippen, seine Finger, sein Leib, seine Schenkel, sein Gaumen „… und alles an ihm ist lieblich.“ (5,10-16)
Noch schöner sieht seine Frau aus, wenn er sie mit Gold, Silber und Perlen wertschätzt. Betont das Neue Testament den inneren Schmuck „eines sanften und stillen Geistes“ (1 Petrus 3,4), schließt das den äußeren Schmuck nicht aus, mit dem Salomo seine Geliebte beschenkt. „Wir wollen dir goldene Kettchen machen…“ (1,11; vgl. 1 Mo 24,47; Hes 16,11) So geehrt ist die Frau einer geschmückten Prachtstute des Pharaos vergleichbar, die von allen gesehen und bewundert wird. (1,9)
Doch Bewunderung meint nicht die bloße Beschau von Äußerlichkeiten, sondern geht mit Respekt einher. Die ganze Person ist im Blick. Sulamit spricht zu Salomo: „Dein Name ist wie ausgegossenes Salböl.“ (1,3) Ein guter Name ist wertvoll. Der Partner ist zu achten und zu ehren. Gegenseitige Verachtung, fehlender Respekt und Verunehrung zerstören die Ehe. (Spr 12,4; 22,1; vgl. 2 Sam 6,16ff.)
Das Liebespaar sehnt sich nach gemeinsamer Zeit
„Wo bist du?“ (1,7; vgl. 3,1ff.) Die Frage ist ohne Vorwurf und auch gar nicht fordernd gemeint, sondern voller Liebe und Sehnsucht sucht die Frau nach dem Mann, immer wieder. Sie wünscht sich: „Zieh mich dir nach.“ (1,4) Der Mann ruft: „Komm her, meine Schöne.“ (2,10) Er bringt sie in seine Gemächer (1,4), sie bringt ihn „ins Haus meiner Mutter“ (3,4) – ein antikes Bild für den ehelichen Beischlaf, den schon ihre Eltern vollzogen haben. (vgl. „unter dem Apfelbaum“ in 8,5)
Er sagt „Ich will …“ und sie erwidert ihm: „(Dann) komm …“ (7,9+12) Sie lockt ihn aufs blühende Blumenfeld, wo sie ihm ihre Liebe schenken und sein Verlangen stillen will. Emotionale und körperliche Sehnsucht und Vereinigung verschmelzen in der Poetik.
Mann und Frau verbringen einfach gerne Zeit zusammen. Liebe ist nichts für nur eine Nacht.
Liebende leben in einer Atmosphäre von Geborgenheit
Liebe braucht einen sicheren Rahmen, der vor Verletzungen, Streit und Unheil schützt. Wer vor solchen Dingen Angst hat, der wird nicht wirklich lieben. Ein Mensch, der seinem Partner nicht vertrauen kann oder will, schützt sich dadurch, dass er ihn beherrscht.
Sulamit ist bei Salomo sicher. Am Hochzeitstag wird Salomo in einer wertvollen Sänfte getragen, umgeben von Helden, die ihn und seine Geliebte beschützen können. (3,6-11) Ihr Zuhause ist fest: „Zedern sind die Balken unseres Hauses, Zypressen unsere Täfelung.“ (1,17; vgl. 1 Kö 7,2) Sie haben einen Rückzugsort, die Eltern verlassen (1 Mo 2,24) und auch keine Geldgeber nötig, die ihrer Ehe durch ihren Einfluss schaden könnten. (vgl. 1 Thess 4,12)
Ebenso sicher ist Sulamit auch im Moment ihrer Hochzeitsnacht und im Augenblick ihrer größtmöglichen Verletzbarkeit. Bildhaft wird das „erste Mal“ beschrieben (5,4+7), ihr Herz geriet in Wallung, sie fühlt sich aufgewühlt und einsam in ihrer neuen Erfahrung. Auch dann weiß sie sich geliebt und geborgen. Sie fasst an den Türgriff und fühlt Myrrhe. (5,5) Salomo hat kostbares Salböl hinterlassen – ein Brauch, um die Beständigkeit seiner Liebe unter Beweis zu stellen.
Ehelicher Alltag und Sexualität brauchen den Schutz einer festen Ehe.
Liebe ist taktvoll und wartet auf den richtigen Zeitpunkt
Warten ist neben den anderen ein besonders großes Thema im Hohenlied. Gefühle von Sicherheit und Geborgenheit müssen wachsen und dazu braucht es die Phase des Kennenlernens.
Fehlt diese Basis, dann „gefällt es der Liebe nicht.“ Sexualität im Sinne bloßer Lustbefriedigung mag dem Sünder gefallen, aber es ist nicht der Genuss echter Liebe, wie ihn das Hohelied beschreibt. Ist das moralische Gewissen noch nicht abgestumpft, hindert auch das den Genuss von Sex vor der Ehe. Dreimal ermahnt das Hohelied den Leser, zu warten:
„Erregt und erweckt nicht die Liebe, bis es ihr gefällt!“ – Hoheslied 2,7; 3,5; 8,4
Echte Liebe kann vertrauen und sich dem anderen schenken
Ist die Ehe geschlossen, bietet sie den Ehepartnern Schutz vor Unzucht. Wir sollen heiraten, „um Unzucht zu vermeiden“ und „heiraten ist besser als in Glut zu geraten.“ (1 Kor 7,2+9) Auch die Sprüche warnen in Kapitel 5 vor Unzucht mit der Verführerin und lehren uns:
„Trinke Wasser aus deiner eigenen Zisterne und Ströme aus deinem eigenen Brunnen! Sollen sich deine Quellen auf die Straße ergießen, deine Wasserbäche auf die Plätze? Sie sollen dir allein gehören und keinem Fremden neben dir! Deine Quelle sei gesegnet, und freue dich an der Frau deiner Jugend! Die liebliche Hindin, die anmutige Gemse, ihr Busen soll dich allezeit sättigen, von ihrer Liebe sollst du stets entzückt sein!“ – Sprüche 5,15-19; vgl. Hl 7,9
Damit ist Ehe nicht nur emotionale, sondern auch körperliche Beziehung, die auf Gegenseitigkeit beruht. Wir sollen den Nächsten lieben wie uns selbst, auch in der Ehe. Wir sollen nicht nur essen und trinken, sondern auch den anderen mit Essen und Trinken versorgen. Entzieht sich ein Partner, zerstört auch das die Ehe und führt in die Versuchung, Unzucht zu begehen.
Steht die eheliche Beziehung auf der sicheren Basis von Vertrauen, Geborgenheit und Gottesfurcht, dann kann sich der eine dem anderen hingeben und schenken: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein…“ (Hl 2,16; 6,3) Genauso lehrt auch Paulus die Korinther im Neuen Testament:
„Die Frau verfügt nicht selbst über ihren Leib, sondern der Mann; gleicherweise verfügt aber auch der Mann nicht selbst über seinen Leib, sondern die Frau.“ (1 Kor 7,4)
Liebe kann sich hingeben und in vollen Zügen genießen
Wenn der Ehepartner sich dem anderen hingibt, dann schließt das nicht aus, dass er selbst die eheliche Liebe in vollen Zügen genießt. Die Bibel gebraucht das Bild von „Essen und Trinken“. Aber nicht Wasser, sondern Wein. (Hl 1,2.4; 2,4; 4,10; 5,1; 7,10) Nicht trockenes Brot, sondern paradiesische Früchte, exotische Gewürze. (Hl 2,3; 4,13f.; 4,16; 7,9.14) Dazu ein schöner Duft, der die Sinne noch mehr betört. (1,3.12; 4,10f.; 7,9)
Die Bibel warnt vor Ausschweifung, einerseits. Gerade den Drogen sollen wir nicht ergeben sein, z.B. dem Alkohol. In Sachen Liebe jedoch erhebt Gott den Rausch sogar zum Gebot: „Eßt, meine Freunde, trinkt und berauscht euch an der Liebe!“ (Hl 5,1b) Lust, Leidenschaft und Genuss innerhalb der Ehe sind gottgewollt. Gott freut sich, wenn Eheleute sich immer wieder aneinander erfreuen und sogar berauschen! Prüderie und sexuelle Passivität entsprechen nicht dem Schöpfungsgedanken Gottes.
Bemerkenswert auch, dass das Lied mit einem Kuss beginnt. (1,2)
Gott liebt sein Volk – die Sache mit der Allegorie
Im Epheserbrief wird die Beziehung zwischen Mann und Frau mit der Beziehung zwischen Gott und der Gemeinde verglichen. (Eph 5,23ff.) Der Mann soll seine Frau lieben wie Christus die Gemeinde liebt. Verstehen wir etwas von der gegenseitigen Hingabe eines Ehepaars, dann verstehen wir auch mehr über die Liebe Gottes zu seinem Volk, welche vom Volk entsprechend erwidert wird bzw. erwidert werden sollte. Gott gibt sich den Menschen hin. Christus stirbt am Kreuz den Opfertod für seine Jünger zur Vergebung ihrer Sünden. „Gott aber beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Röm 5,8)
Ein Beispiel hingebungsvoller Liebe eines Menschen zu Gott finden wir in Maria, die Jesus mit einem Pfund „echten, köstlichen Nardensalböls“ ihre Ehre erwies und seine Füße damit salbte. (Joh 12,3) Der rational denkende Mensch urteilt, das sei Verschwendung. Für den liebenden Menschen ist das beste und teuerste gerade gut genug für den Geliebten. Gott möchte, dass wir ihn verschwenderisch lieben und ihm unser ganzes Leben hingeben.
Paulus schreibt: „Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: Das sei euer vernünftiger Gottesdienst!“ (Röm 12,1) Wir schauen auf die Barmherzigkeit Gottes und verstehen, wie sehr Gott uns liebt. Dann lieben wir Gott mit Hingabe und dienen ihm mit Eifer.