Begegnung mit den Verfolgten: Gastfreundschaft lernen

BrotIch brauche die Begegnung mit den Verfolgten,… weil sie mich die Bedeutung von biblischer Gastfreundschaft lehren.

Es war ein heißer, schwüler Tag im Jahr 1982, als ich mich dem Haus meiner Kontaktperson in Krakau, Polen, näherte. Obwohl es nicht meine erste Reise hinter den Eisernen Vorhang war, war es das erste Mal, dass ich ein Team leitete, das Bibeln brachte, die von einer Kirche in Osteuropa angefordert worden waren. So war ich etwas nervös. Ist dies der richtige Ort? Würden wir mit den Leuten kommunizieren können? Was ist, wenn niemand zu Hause ist? Folgte mir jemand? Der Stresspegel nahm zu, als mir solche Fragen durch den Kopf gingen.

Unser Team hatte einen einfachen Plan: den Kontakt herstellen, einen Zeitpunkt für die Übergabe der Bibeln zu bestimmen, die Bibeln zu übergeben und die Stadt zu verlassen. Es sollte schnell und effizient gehen, um das Risiko für uns und unsere christlichen Kontaktpersonen möglichst niedrig zu halten.

Zu unserer Überraschung hatten unsere Kontaktleute einen anderen Plan. Die Frau, die an die Tür kam, schaute mich erst verdächtig an, doch nachdem ich ihren Namen falsch ausgesprochen und mich so als Ausländer zu erkennen gegeben hatte, bat sie mich schnell ins Haus zu kommen. In sehr gebrochenem Englisch sagte sie, dass ihr Mann, der Pastor, später nach Hause kommen würde, aber sie würde einen Verwandten rufen, der fließend Englisch sprach. In der Zwischenzeit wäre ich sicher hungrig, oder nicht?

Es war eine rhetorische Frage. Sie verschwand um zu kochen während ich die nächsten 45 Minuten verschiedene Familienmitglieder anlächelte, die alle kein Englisch sprachen. Dann erschien sie mit einem Teller mit Hühnchen mit Reis und Gemüse, die ich vor den Augen der Familie aß. Als der Englisch sprechende Verwandte kam, rückte ich mit unserem brillanten Plan heraus und riet zur Eile und zur Übergabe der Bibeln – nur um wieder überrascht zu werden.

„Wo sind deine anderen Team-Mitglieder?”, fragte er.

„Sie warten im Park, und vermutlich fragen sie sich inzwischen was mit mir geschehen ist,” sagte ich.

„Bring sie her, sie sind sicherlich hungrig!”, ordnete er an. Bald darauf aßen meine beiden Teammitglieder wie bei einem Fest ein delikates Hühnchen, während ich und der Rest der Familie zusahen. Als sie zu Ende gegessen hatten, versuchten wir erneut unsere Plane bezüglich der Übergabe vorzubringen. Doch wieder wurden wir zurückgewiesen.

„Geh und hole dein Fahrzeug und parke es hinter dem Haus. Ihr werdet heute Nacht hier schlafen“, sagte mein neuer Freund. „Es ist kein Problem, wir können auf dem Campingplatz schlafen, und es bedeutet weniger Gefahr für euch“, sagte ich, als wollte ich der Familie einen Gefallen tun. „Wir können morgen wieder kommen, wann immer es passt.“

„Ihr werdet heute Nacht hier schlafen,“ sagte er mit fester Stimme.

„Aber denkst du nicht, es wäre besser, wenn ….“

„Geh und hole dein Fahrzeug, ihr werdet heute Nacht hier schlafen!“

Ich war etwas verwirrt, aber doch freute ich mich bei der Aussicht auf ein richtiges Bett. So gingen wir zu unserem Fahrzeug und parkten es nur einige wenige Blocks entfernt.

Gastfreundschaft beinhaltet das Eingehen von Risiken

Den restlichen Nachmittag verbrachten wir damit, dass wir die beträchtliche Anzahl von ca. 3000 Bibeln ausluden, die wir in das Land gebracht hatten. Aber am Abend wurden wir noch vorzüglicher behandelt. Wir saßen in dem bescheidenen Wohnzimmer dieses großzügigen polnischen Pastors und seiner Familie, wir lachten über die unzähligen Missverständnisse während des Gesprächs, weinten über die Schwierigkeiten denen sie in einem kommunistischen Regime gegenüberstanden und beteten zusammen in zwei verschiedenen Sprachen.

Endlich, als wir buchstäblich ins Bett fielen, konnte ich nicht anders als noch einmal zu fragen: „Ist es nicht gefährlich für dich, wenn wir in deinem Haus sind? Wir könnten immer noch zum Campingplatz gehen.“ Mit einem kleinen Anzeichen von Verzweiflung über meine Bedenken, antwortete der Pastor: „Ja, es ist gefährlich. Doch heute Nacht werdet ihr hier schlafen.“

Als ich diese Nacht schlafen ging, begann ich zu begreifen, dass biblische Gastfreundschaft auch Risiken beinhaltet. Andere vor sich selbst zu stellen kann Freude bereiten – aber es kann auch gefährlich sein, oder zumindest unbequem. Wäre ich in der gleichen Weise wie diese Familie bereit, meine Familie und meine Zukunft zu riskieren, nur um Gastfreundschaft zu üben? (Röm 12,13)

Gastfreundschaft beinhaltet Glauben

Einige Jahre später befand ich mich in der Küche eines Pastors in Havanna, Kuba. Wieder einmal war es Essenszeit und unser großzügiger Gastgeber und seine Frau stellten große Portionen mit Reis und etwas Huhn im Stil der 50er Jahre auf den Tisch. Es war in keiner Weise ein extravagantes Essen, aber die Portionen waren groß genug, so dass ich mich fragte, ob die Geschichten über das Rationieren und Entbehren, die ich gehörte hatte, wahr wären. Als sich die Gelegenheit ergab, schaute ich in die Schränke. Sie waren komplett leer. Diese kubanische Familie hatte ihr letztes Essen – alles war sie hatten – für unser kleines Team gekocht. So weit ich es beurteilen kann, hatten sie es fröhlich getan.

Es war damals, als ich verstand, dass biblische Gastfreundschaft Glauben beinhaltet. Wenn der Herr nicht für sie sorgt, hat diese Familie keine Hoffnung wieder etwas zu essen. Später lernten wir mehr über Gottes Treue, wie er in wunderbarer Weise sich wieder und wieder ihrer Not angenommen hat. Kein Wunder, dass sie dabei voll Freude waren. Gastfreundschaft war für sie ein Glaubensabenteuer.

Risiko und Glaube: Zwei Zutaten für biblische Gastfreundschaft. Zusammen ergeben sie Freude. Die verfolgte Kirche versteht dies. Wir im Westen müssen es lernen.

Quelle: Open Doors // Bild: ©SXC/backtrust